Froh zu sein, bedarf es viel

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May 27, 2011, Financial Times Deutschland

(Gastbeitrag von Andrew Oswald)

[ORIGINAL VERSION IN ENGLISH]

Politikern reicht es nicht, dass es uns gut geht. Sie wollen, dass wir uns gut f�hlen. Das wird auch Zeit, denn das Wohlbefinden wird immer wichtiger f�r den Erfolg einer Gesellschaft. Unser Weltbild d�rfte das ganz sch�n durcheinanderbringen.

Gl�ck ist das neue Bruttoinlandsprodukt. Und neuerdings will jeder wissen, wie gro� es ist, das Gl�ck. Frankreichs Staatspr�sident Nicolas Sarkozy will es wissen, der britische Premierminister David Cameron und Bundeskanzlerin Angela Merkel wollen es auch. Sie alle haben ihre nationalen Statistik�mter angewiesen, k�nftig doch bitte nicht nur den Wohlstand in der Gesellschaft zu messen, sondern auch das Wohlbefinden.

Endlich handeln die Politiker. Sie haben erkannt, dass es nicht mehr angemessen ist, ausschlie�lich auf das Wirtschaftswachstum zu schielen - also grob gesagt auf die Frage, wie viel Euro Lohn die Menschen jedes Jahr auf ihr Konto �berwiesen bekommen. Wer sein Land am Laufen halten will, muss wissen, wie gut es den Leuten geht.

Das BIP hat uns gute Dienste geleistet, keine Frage. Aber erfunden wurde es vor 80 Jahren, also in einer Zeit, als viel mehr B�rger Europas hungern mussten als ein Automobil besa�en und als die k�rperliche Gesundheit der Menschen an Mangel litt. Heute jedoch haben viele entgegengesetzte Probleme. Es wird zu viel gegessen. Es gibt zu viele Verkehrsstaus. Fast jeder zehnte Europ�er hat im vergangenen Jahr Antidepressiva geschluckt.

Schon vor gut einem Jahr hat Nobelpreistr�ger Joseph Stiglitz mit mir und einem Team weiterer Wirtschaftswissenschaftler einen ersten Bericht �ber die Bedeutung des Gl�cks vorgelegt. Pr�sident Sarkozy hatte angeregt, dass eine solche Kommission eingerichtet wird. Nun hat auch Gro�britannien nachgezogen. Mittlerweile geh�re ich zum National Well-being Forum, einem Kreis aus Regierungsbeamten und Wissenschaftlern, die sich regelm��ig zusammensetzen.

Unsere Aufgabe ist es, die Ziele f�r die Zukunft der Gesellschaft neu zu formulieren. Es ist ein Anfang, aber auch in vielen anderen L�ndern gr�nden Politik und Wirtschaft �hnliche Initiativen. Die Volkswirtschaftslehre, die ich selbst in den 70er-Jahren noch studierte, wird es bald nicht mehr geben. Sie wird ersetzt. Der neue Denkansatz ist breiter und offener und bezieht viele Fachgebiete mit ein. Seine Vertreter erstellen Ranglisten des Wohlbefindens. Eine neue intellektuelle Bewegung ist entstanden, die �konomie des Gl�cks.

Und f�r den Rest dieses Jahrhunderts wird sie sowohl die Politik der Regierungen als auch die kommerziellen Perspektiven der Unternehmen ver�ndern. Ganz leise hat sich diese Bewegung in einer Handvoll Universit�ten eingeschlichen. Die meisten Volkswirte schenkten ihr zuerst keine Beachtung. Ausnahmsweise kann man hier einmal davon sprechen, dass Europa die geistige F�hrung �bernommen hat und die USA schlie�lich anfingen, dem Beispiel zu folgen.

Gl�ck nach Zahlen

回答einmal一张Vorlesung f r Volkswirtschaft erle�bt hat, mit all ihren Diagrammen und Gleichungen, der muss eigentlich zu dem Schluss kommen, dass man �konomik und Gl�ck nicht in einem Atemzug nennen darf. Instinktiv w�rde jeder sagen, Gl�ck sei Sache der Philosophen und nicht in Zahlen messbar. Es gibt jedoch Fortschritte.

Kein Mensch gibt vor, das Wohlbefinden eines Menschen oder einer Gesellschaft zu messen sei ein Kinderspiel. Und doch studieren Wissenschaftler auf diesem Gebiet, genau wie in der medizinischen Statistik, Daten vieler Menschen. Eine riesige Punktwolke entst�nde auf einem Computerbildschirm, wollte man das grafisch darstellen. Und wir finden die rote Linie, die diese Punkte verbindet. So wollen wir versteckte Muster aufdecken. Wir suchen nach dem, was in der Tiefe vergraben ist, den indirekten Beziehungen zwischen Gl�ck und den vielen Aspekten, die unser Leben beeinflussen: Einkommen, Herkunft, Bildung, Geschlecht, Kinder.

Die Frage ist berechtigt, ob es m�glich ist, dies derart systematisch zu tun. Unserer Ansicht nach ist es das durchaus. Immer wieder haben wir die Qualit�t der Daten gepr�ft. Bei der j�ngsten Arbeit kombinieren wir Angaben �ber das subjektive Gl�cksempfinden unserer Probanden mit physiologischen Messwerten wie ihrer Herzfrequenz.

Allm�hlich erkennen wir auch, dass bestimmte Gene Einfluss darauf haben, ob wir Gl�ck empfinden oder nicht. Und Aufnahmen des Gehirns aus der Kernspintomografie zeigen, dass Emotionen wie Gl�ck und Traurigkeit in unterschiedlichen Teilen der Gehirnwindungen stattfinden. Zumindest auf einer tiefen physiologischen Ebene wissen wir also schon einiges dar�ber, wie Gl�ck aussieht.

Und das soll politische Auswirkungen haben? In der Tat. Sobald wir damit beginnen, L�nder danach zu bewerten, wie viel Lebensgl�ck ihre B�rger versp�ren, verschieben sich die traditionellen internationalen Ranglisten. Aktuell ist D�nemark Europas Land mit der h�chsten Zufriedenheit. Worin liegt das Geheimnis? Wohin ist Frankreichs "Joie de vivre" verschwunden? Gelingt Deutschland ein Aufstieg in der Rangliste des Wohlbefindens in Europa? Forscher wie Entscheider beginnen gerade erst, sich mit derartigen Fragen zu befassen. Befriedigende Antworten gibt es noch nicht.

J�ngste Daten haben aber etwa gezeigt, dass es eine deutliche Verbindung gibt zwischen L�ndern, in denen die Menschen vergleichsweise weniger gl�cklich sind, und dem verst�rkten Auftreten von Bluthochdruck. Wenn wir Untersuchungsergebnisse zum Vorkommen von Bluthochdruck zur Hand nehmen, scheinen wir also Angaben dar�ber best�tigen zu k�nnen, wie zufrieden die Menschen sind.

Ein gro�es Problem f�r die Wirtschaftspolitik der Industrienationen stellt das sogenannte Easterlin-Paradox dar. Der �konom Richard Easterlin stellte die These auf, dass L�nder, die reicher werden, offenbar nicht entsprechend gl�cklicher werden. Warum geht Wirtschaftswachstum nicht mit zunehmender Zufriedenheit einher?

Zufriedenheit ist relativ

Es有einige Hinweise auf死米�gliche Antwort。Zum einen sind die Menschen insgeheim st�ndig am Vergleichen. Vereinfacht w�nsche ich mir unterbewusst, dass ich drei BMW habe und mein Nachbar eine rostige alte Sch�ssel. Das wirft in der Praxis allerdings Probleme auf. In wohlhabenden L�ndern hebt das Wirtschaftswachstum alle auf ein besseres Niveau. War es einmal etwas Besonderes, drei BMW in der Garage stehen zu haben, wird es irgendwann zur Norm, und selbst dieser nervige Herr Schmidt ein Haus weiter hat inzwischen einen. In den K�pfen der Menschen sorgt eine boomende Wirtschaft somit offenbar f�r Neutralit�t.

Umso st�rker k�nnten jene in der Politik profitieren, die mehr predigen als den schn�den Aufschwung. Nehmen wir mal die Gr�nen. Die sind zwar politisch derzeit ohnehin im Aufwind. Sie haben aber noch nicht begriffen, dass sie und andere Umweltsch�tzer zu den gro�en Gewinnern der Gl�ckswissenschaften geh�ren k�nnten. Seit einigen Jahren ist es uns mithilfe neuer Techniken gelungen, auf den Dollar, den Euro und das Pfund genau zu beziffern, wie sehr saubere Luft, weniger L�rmbel�stigung und der Verzicht auf chemische Zusatzstoffe zum Wohlbefinden beitragen.

Simon L�chinger von der Uni Z�rich hat anhand von Daten aus Deutschland sogar untersucht, wie sehr das Gl�cksniveau der Menschen unbewusst davon abh�ngig ist, wie hoch die Schwefeldioxidemissionen selbst weit entfernter Fabriken ausfallen. Einige der spannendsten Erkenntnisse konnten meine Kollegen gewinnen, als sie bestimmte geologische Daten und Informationen mit Umfragen kombinierten, in denen Menschen Auskunft �ber ihr pers�nliches Wohlergehen machten.

Die �konomie des Gl�cks wird auch andere Felder weiterbringen, die Rechtsprechung etwa. Ich bin sicher, dass die Bestimmung von Gl�ck und Ungl�ck eines Tages in vielen Gerichten zum Einsatz kommen wird. Bei vielen Klagen, etwa wegen Vernachl�ssigung, stehen die erlittenen Sch�den im Mittelpunkt. Deren Wert l�sst sich nicht automatisch beziffern. Deshalb m�ssen sich die Richter auf ihre eigene Urteilskraft verlassen, um ihr Urteil f�llen zu k�nnen. Zumindest in amerikanischen Prozessen m�ssen Geschworene den Wert komplexer menschlicher Trag�dien genau berechnen. Das ist keine leichte Aufgabe. Hier bieten unsere statistischen Methoden erstmals einen Ansatz.

Doch es ist die makro�konomische Ebene, auf der die neue �konomie des Gl�cks besonders subversive Ideen ins Spiel bringt. Eines Tages wird die Wirtschaftspresse nicht mehr mit der Schlagzeile "Wirtschaftswachstum gestiegen" titeln, sondern mit "Neues Gl�ckshoch in Deutschland". Das Z�hlen von Euro als alleiniges Ma� des Fortschritts wird als fehlgeleitet gelten, das Erfassen des Wohlbefindens als vern�nftig. Die Menschen werden zur�ckschauen und sich fragen, warum man das zu Anfang des 21. Jahrhunderts noch nicht getan hat.

Andrew Oswald ist Wirtschaftsprofessor an der Universit�t von Warwick und derzeit Visiting Research Fellow am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Er war Mitglied der Stiglitz-Kommission zur Messung des sozialen Fortschritts.


Reprinted with permission.

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