Arbeitnehmerfreiz�gigkeit ab 1. Mai

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April 26, 2011, Hamburger Abendblatt

(Interview mit Klaus F. Zimmermann)

"Es fehlt an offensiven Zeichen der Gastfreundschaft"

Beate Kranz

Hamburg. Zum 1. Mai �ffnen Deutschland und �sterreich als letzte EU-Staaten den Arbeitsmarkt f�r B�rger aus Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen. �ber Chancen und Risiken sprach das Abendblatt mit dem Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Klaus Zimmermann.

Hamburger Abendblatt: M�ssen wir im Mai mit Wartezeiten an der polnisch-deutsche Grenze rechnen?

Klaus Zimmermann:Warum?

Weil dann Tausende Osteurop�er ihr neues Gl�ck in Deutschland suchen.

Zimmermann:Nein, diese Vorstellung ist �berzeichnet. Richtig ist, dass es ein sehr gro�es Interesse der osteurop�ischen EU-Beitrittsl�nder f�r die neue Arbeitnehmerfreiz�gigkeit gibt, weil es als Zeichen der Anerkennung, des Respekts und der Integration in Europa wahrgenommen wird. Die Neuregelung wird aber keine gro�e Migrationswelle nach Deutschland in Gang setzen.

Wie viele Menschen erwarten Sie in diesem Jahr?

Zimmermann:In diesem Jahr sch�tze ich die Zahl der Arbeitszuwanderer auf etwa 150.000. Allerdings muss man wissen, dass aus Polen schon bislang jedes Jahr durchschnittlich etwa 50.000 Menschen legal nach Deutschland zum Arbeiten kommen. Auf Dauer d�rfte die Zahl der Zuwanderer eher wieder abnehmen, da viele Osteurop�er andere L�nder wie Gro�britannien, Irland, Schweden oder die USA bevorzugen.

Ist Arbeitnehmerfreiz�gigkeit eher eine Chance oder Gefahr f�r Deutschland?

Zimmermann:Flexible Arbeitsm�rkte sind immer eine Chance. M�ngel am Arbeitsmarkt k�nnen durch h�here, grenz�berschreitende Beweglichkeit besser ausgeglichen werden. Die EU verfolgt mit der neuen Freiz�gigkeit die Grundidee, dass ein einheitlicher Wirtschaftsraum allen Wohlstand und Besch�ftigung bringen soll.

Konkret zu den Chancen. Inwieweit kann die neue Regelung dem Fachkr�ftemangel entgegenwirken?

Zimmermann:In Deutschland gibt es derzeit in der Alten- und Krankenpflege, bei haushaltsnahen Dienstleistungen, im Handwerk sowie bei hoch qualifizierten Ingenieuren einen gro�en Bedarf an Arbeitskr�ften. Bei Pflegekr�ften werden neben Fachpersonal auch angelernte Kr�fte gesucht, die bereit sind, �ltere oder kranke Menschen zu betreuen � und zwar zu Bedingungen, unter denen Deutsche derzeit offenbar nicht bereit sind zu arbeiten. In diesem Bereich d�rfte Deutschland zahlreiche Zuwanderer bekommen. Die Hochqualifizierten werden ihr Gl�ck dagegen wohl weiterhin eher in England oder �bersee suchen.

Woran liegt es, dass Deutschland f�r viele Hochqualifizierte bisher nicht so attraktiv ist?

Zimmermann:Im Gegensatz zu anderen L�ndern �ffnen Deutschland und �sterreich erst jetzt ihren Arbeitsmarkt. Wir haben bislang kein internationales Signal ausgesendet, dass Arbeitskr�fte aus dem Osten hierzulande willkommen sind. Es fehlte an offensiven Zeichen der Gastfreundschaft. Diese z�gerliche Haltung aus Angst vor vermeintlichen Belastungen des Arbeitsmarktes erweist sich jetzt als gro�er Fehler. So kann es passieren, dass k�nftig gut ausgebildete Deutsche und Migranten? ins Ausland abwandern, w�hrend nur wenige nach Deutschland kommen. Schon heute ist Deutschland ein Auswanderungsland.

Gef�hrdet Deutschland ohne Zuwanderung seinen Wohlstand?

Zimmermann:Mittelfristig braucht Deutschland rund 500.000 Zuwanderer im Jahr, um seinen Wohlstand zu halten. Die Entwicklung des Arbeitsmarkts zeigt schon heute deutlich, dass uns zunehmend die Arbeitskr�fte ausgehen. Die Arbeitslosigkeit nimmt stetig ab, was zwar sch�n ist. Andererseits st��t die Industrie in manchen Bereichen schon in zwei Jahren an die Grenze ihrer Produktionsm�glichkeiten, da wie im Maschinenbau Mitarbeiter fehlen. Ohne mehr Arbeitskr�fte ger�t das weitere Wirtschaftswachstum in Gefahr. Im Bereich der Elektrotechnik und Elektronikindustrie beklagen zum Beispiel Firmen, dass manche Auftr�ge teilweise schon jetzt nicht mehr rechtzeitig ausgef�hrt werden k�nnen. Die kommunalen Krankenh�user in Bremen zahlen ihren Mitarbeitern schon heute eine Pr�mie in H�he von 1000 Euro, wenn diese erfolgreich einen Pfleger oder eine Pflegerin anwerben.

Was muss Deutschland unternehmen, damit es attraktiv f�r Osteurop�er wird?

Zimmermann:Deutsche Unternehmen sollten in Osteuropa Informations- und Servicestellen schaffen, die Auswanderungswillige beraten, aber auch Auszubildende oder Studenten f�r Deutschland anwerben. Zudem muss das Zuwanderungsgesetz ge�ndert und pr�zisiert werden. Anhand eines Punktesystems sollte bestimmt werden, unter welchen Bedingungen eine Einwanderung nach Deutschland m�glich ist. Dieses muss international zug�nglich sein, so wie dies die USA, Kanada oder Australien praktizieren.

Nach den Chancen nun zu den Gefahren. Gewerkschaften bef�rchten durch die neue Freiz�gigkeit Lohndumping.

Zimmermann:Die Gefahr des Lohndumpings h�ngt stark von der Branche ab. Gesuchte Fachkr�fte werden in der Regel gut bezahlt. Allerdings k�nnte es passieren, dass die Lohnsteigerungen durch das gr��ere Arbeitskr�fteangebot etwas geringer ausf�llt. Fachkr�fte schaffen aber auch Arbeitspl�tze, indem sie geringer qualifizierte Jobs nach sich ziehen. Allenfalls dort, wo die Arbeitslosigkeit oder der Wettbewerbsdruck sehr hoch ist, k�nnte es zu Lohndumping kommen � etwa im Bausektor, der Geb�udereinigerbranche oder in der Fleischindustrie.

W�re die Einf�hrung eines Mindestlohns sinnvoll?

Zimmermann:Nein. Mindestlohn ist allenfalls in der Zeitarbeitsbranche sinnvoll, damit osteurop�ische Arbeitskr�fte nicht zu den oft niedrigeren Heimatl�hnen in Deutschland arbeiten k�nnen und damit eine Branche gef�hrden.

Droht den osteurop�ischen L�ndern ein Exodus an Fachkr�ften?

Zimmermann:Viele europ�ische L�nder praktizieren bereits seit 2004 die Arbeitnehmerfreiz�gigkeit. Auch damals hat dies nicht zu Massenmigrationen gef�hrt. Viele Osteurop�er nutzen die Jobs im Westen, um mehr Geld zu verdienen. Die Erfahrung zeigt zudem, dass viele polnische Arbeitsmigranten zum Beispiel ihre Ehepartner in der Heimat zur�cklassen und an die Familie Geld transferieren. Viele kehren nach einigen Jahren auch wieder in ihr Heimatland zur�ck und bereichern mit ihrem Wissen die heimische Wirtschaft. Unterm Strich profitiert damit auch Osteuropa von dem Know-how-Transfer.

Klaus Zimmermann leitet seit 1998 als Direktor das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA). Seine Hauptthemen sind die Arbeits- und Bev�lkerungs�konomik.

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