Die Zukunft der Arbeit

Logo
January 08, 2011, S�ddeutsche Zeitung

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)

DIE ZUKUNFT DER ARBEIT

Keine Sorge, die Jobs gehen uns nicht aus. Doch die Berufswelt ver�ndert sich stark. Zehn Thesen von Professor Klaus F. Zimmermann

Deutschland geht mit einem solchen Vorsprung aus der globalen Krise hervor, dass bereits von einem neuen deutschen Jobwunder die Rede ist. Wird dieser Vorsprung genutzt, ist in den kommenden Jahren sogar wieder Vollbesch�ftigung m�glich - mit einer Arbeitslosenquote unter vier Prozent. Doch die Erwerbsgesellschaft der Zukunft wird von sehr unterschiedlichen Trends bestimmt.

1. Aus dem Mangel an Jobs wird ein Mangel an Arbeitskr�ften

错的较多死Knappheit资本论》,sondern personellen Ressourcen bestimmt mehr und mehr die Wachstumsperspektiven unserer Unternehmen. Bis zum Jahr 2025 geht das Potential der Erwerbsf�higen um 3,6 Millionen auf 41,1 Millionen Menschen zur�ck. Schon 2015 fehlen in Deutschland etwa drei Millionen Arbeitskr�fte - nicht nur Hochqualifizierte wie Naturwissenschaftler oder Ingenieure, sondern ebenso Handwerker. 2005 gab es noch zw�lf Millionen Schulabg�nger. Bis 2020 sinkt diese Zahl auf weniger als zehn Millionen. Immer mehr Ausbildungspl�tze bleiben leer. Versch�rft werden diese Engp�sse dadurch, dassmehr Menschen auswandern als einwandern. Die Konsequenz: Gebraucht werden ein internationales Personalmarketing und ein attraktives Deutschland-Bild, das junge Menschen aus aller Welt f�r Ausbildung, Studium und Beruf anlockt.

2. Multikulturelle Belegschaften forcieren die Innovation

Heute stammt jeder f�nfte Einwohner hierzulande aus einer Migrantenfamilie. Der Arbeitsmarkt von morgen wird noch internationaler sein. Wenn sich Deutschland - endlich - f�r einen nach dem Bedarf gesteuerten Zuzug von Fachkr�ften entscheidet, l�sst sich das Inlandsprodukt bis zum Jahre 2020 um bis zu 100 Milliarden Euro steigern. Schon heute st�tzen Zuwanderer in Deutschland die Sozialsysteme, indem sie mehr einzahlen, als sie zur�ckerhalten. Ebenso stabilisieren sie bereits heute Besch�ftigung und Wachstum: Sie erf�llen n�mlich Jobprofile, die hierzulande entweder fehlen oder zu denen deutsche Arbeitnehmer nicht bereit sind. Multiethnisch aufgestellte Unternehmen, in denen Zuwanderer den betrieblichen Alltag durch ihre Erfahrungen erg�nzen, geh�ren zu den Gewinnern. Denn ihre offenere Firmenkultur ist f�rderlich f�r die Innovationen.

3. Das Wachstum der Zukunft ist weiblich

Bis zu 2,4 Millionen Frauen k�nnten bei einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf zus�tzlich f�r den Arbeitsmarkt gewonnen werden. Denn in Deutschland arbeiten �berdurchschnittlich viele Frauen nur in Teilzeit. Wenn das Potenzial an weiblichen Arbeitskr�ften voll ausgesch�pft w�rde, so w�rde dies unser Bruttosozialprodukt um neun Prozent steigern. Unternehmen mit hohem Frauenanteil im Top-Management sind schon heute bei Produktivit�t und Motivation erfolgreicher.

4. Die Alten ver�ndern den betrieblichen Alltag

Im amerikanischen Boston gibt es ein Familienunternehmen, das ausschlie�lich ehemalige Lehrerinnen, Ingenieure, Designer oder Kellnerinnen besch�ftigt. Das Durchschnittsalter liegt dort bei 71 Jahren. Dank der Verl�sslichkeit der Mitarbeiter stieg der Umsatz in den letzten Jahren um 20 Prozent. Es ist nicht n�tig, Angst davor zu haben, dass die Belegschaften auch bei uns �lter werden � wenn wir dieser Prozess gut gemanagt wird. Sp�testens vom Jahr 2020 an, wenn die geburtenstarken Jahrg�nge in den Ruhestand gehen, wird dieser �Alterssprung� enorm. �Diversity Management� wird deshalb immer wichtiger: Wie k�nnen Unternehmen �ltere Mitarbeiter l�nger im Besch�ftigungsprozess halten? Wie k�nnen Junge und �ltere m�glichst effektiv zusammenarbeiten? Wie schafft man ma�geschneidert flexiblere Arbeitszeiten? Diese Fragen werden auch in den Tarifvertr�gen immer wichtiger. So hat die Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie mit den Arbeitgebern 2008 einen �Tarifvertrag Demografie� vereinbart.

5. Attraktive Regionen bauen ihren Vorsprung weiter aus

Nicht nur global, sondern auch national wird sich zwischen den Regionen der Wettbewerb um Arbeitskr�fte versch�rfen - und damit um Konsumenten und Steuerzahler. In Deutschland bilden sich immer deutlicher bis zu zwei Dutzend Zukunftszentren heraus, die an Attraktivit�t gewinnen. Dazu geh�ren Hamburg, M�nchen, Stuttgart, Frankfurt, Bremen, K�ln oder D�sseldorf und das entsprechende Wohnumland. Aber ebenso Kandidaten wie der Gro�raum M�nster, Bonn, Aachen oder Dresden. Auch in der Hauptstadtregion um Berlin und Potsdam stieg schon in den letzten f�nf Jahren die Erwerbst�tigkeit dreimal so stark an wie im Rest der Republik. Diese Job-Boomer zeichnen sich als Wissenschaftsstandorte aus, durch ein reiches kulturelles Angebot, hohe Wohnqualit�t und ein attraktives Freizeitumfeld. Das lockt Spitzenkr�fte an und wirkt wie ein Hebel auf die gesamte Erwerbst�tigenzahl: Parallel entstehen auch in den Dienstleistungen und bei der Industrieproduktion neue Jobs. Die Differenzierung wird weiter wachsen: Einerseits herrscht schon heute in einigen Arbeitsamtsbezirken im S�den Deutschlands faktisch Vollbesch�ftigung. Andererseits schrumpft in knapp einem Drittel der 413 deutschen Kreise und kreisfreien St�dte die Zahl der Erwerbst�tigen drastisch, etwa im Osten oder im Ruhrgebiet.

6. Feste Arbeitszeiten geh�ren der Vergangenheit an

Im Schnitt了肖恩Im kommenden Jahr 40岁,4毫升lionen Menschen in Deutschland arbeiten � so viele wie noch nie im vereinten Deutschland. Doch das Bild dahinter wird immer komplexer. Die Formen wie die Strukturen der Arbeit �ndern sich. Nicht mehr Fabriken und B�ros, nicht mehr feste Arbeitszeiten und Hierarchien bestimmen die Arbeit der Zukunft, sondern Information und Wissen, vernetztes Arbeiten, Denken und Handeln. Diese F�higkeiten sind prinzipiell �berall verf�gbar. Dementsprechend werden die beruflichen Biographien vielf�ltiger, die Karrieren offener. Teamorientierte Projektarbeit ist auf dem Vormarsch, ebenso Arbeitsformen, die Beruf und Privatleben integrieren. Man organisiert sich lieber in Netzwerken wie Facebook als in den traditionellen Interessenvertretungen. Auf dem Weg zu einer Gesellschaft der Wissensarbeiter, der Kreativwirtschaft und der Dienstleister etablieren sich neue Erwerbsformen vor allem in Sektoren wie Banken, Versicherungen, Medien, Beratung und �ffentlicher Verwaltung: in sogenannten atypischen Besch�ftigungsverh�ltnissen wie Honorar- und Zeitvertr�gen oder Projektvereinbarungen. Generell wachsen flexiblere Personaleins�tze wie Leiharbeit, befristete Besch�ftigung, Teilzeitarbeit und Minijobs. Aber entgegen mancherlei Bef�rchtungen bleibt dennoch das sogenannte Normalarbeitsverh�ltnis pr�gend. So waren 2008 noch 60,1 Prozent aller Besch�ftigten im Alter zwischen 25 und 64 Jahren in einer unbefristeten sozialversicherungspflichtigen Anstellung in Vollzeit t�tig. Hier spricht nichts f�r eine grundlegende Ver�nderung.

7. Die Arbeit wird nicht weniger, aber anders

Wir bekommen nicht weniger Arbeit, aber andere Arbeit. Schon heute ist ein Drittel der Erwerbst�tigen in Deutschland in klassischen Produktionsbetrieben t�tig. Die Sorge ist berechtigt, dass Deutschland seinen industriellen Kern verlieren k�nnte. Gewinner sind die wissensbasierten Dienstleistungen. Auch die sozialen Dienste boomen: Pflege, Erziehung und Betreuung, Familien- und Nachbarschaftshilfe. Weitere Potentiale f�r wachsende Besch�ftigung liegen in der Freizeit- und Gesundheitsindustrie; der Medizin� und Biotechnik. Verkehr, Logistik und Kommunikationstechnologie geh�ren gleichfalls zu den Jobtreibern. Die Seniorenwirtschaft, die Silver-Economy, er�ffnet neue Marktchancen. Keine Sorge also: Die Arbeit geht uns auch im 21. Jahrhundert nicht aus!

8. Ein neuer Typus des Mittelstands entsteht

死Grenzen来Arbeitnehmer Unternehmerverschwimmen, selbst�ndige T�tigkeiten nehmen zu: Alleinunternehmer, Solo-Anbieter formen den Typus des neuen Mittelstandes. Noch sind in Deutschland nur rund elf Prozent aller Erwerbst�tigen selbst�ndig. Dies wird sich �ndern. Vor allem Frauen haben Nachholbedarf; sie stellen derzeit weniger als ein Drittel aller Selbst�ndigen. Der gesamte Mittelstand, der wichtigste Jobmotor auch in Zukunft, wird den demographischen Wandel massiv zu sp�ren bekommen. Viele kleine und mittlere Familienbetriebe, die eher in der Provinz verwurzelt sind, haben im Kampf um die besten K�pfe das Nachsehen, wenn sie nicht aktiv dagegen halten. Sie brauchen Demographie-Berater, die ihnen beim Personalmanagement helfen. In L�ndern wie Belgien unterst�tzen Diversit�tsberater schon jetzt mittelst�ndische Betriebe bei der Rekrutierung und Aufnahme von Ausl�ndern.

9. In der Lohnpolitik wird Mitarbeiterbindung wichtiger

Mit dem knapper werdenden Angebot an Fachkr�ften steigen die L�hne - je nach Branche und Region unterschiedlich stark. Vor allem leistungs- und ergebnisabh�ngige Erfolgspr�mien und Einmalzahlungen werden damit zunehmen. Zugleich r�cken neue Verg�tungsmodelle nach vorn, die sich weniger am kurzfristigen Unternehmenserfolg ausrichten als vielmehr daran, qualifizierte K�pfe langfristig an den Betrieb zu binden. Programme zur Mitarbeiterkapitalbeteiligung bekommen neue Konjunktur.

10. Bildung ist die beste Besch�ftigungspolitik

Bildung ist die beste Investition in eine moderne Besch�ftigungspolitik. Deutschland liegt im OECD-Vergleich mit seinen Bildungsausgaben nur auf Rang 23 unter den 27 wichtigsten L�ndern. Die Folgekosten unzureichender Bildung und damit entgangenes Wirtschaftswachstum werden allein bis 2043 auf mehr als 311 Milliarden Euro (mehr als der heutige Bundeshaushalt) gesch�tzt. Die Studienquote zum Beispiel reicht nicht aus, um den Bedarf an Hochqualifizierten zu decken. Auch sind die �bergangsphasen am Berufseinstieg zu lang � und sie werden immer l�nger. Wie erreichen wir eine bessere Qualifizierung und Aktivierung jener, die bisher auf dem Arbeitsmarkt zu wenig Chancen haben? Den Sockel von derzeit mehr als 2,2 Millionen Langzeitarbeitslosen kann auch der demographische Wandel nicht einfach aufl�sen.

Klaus F. Zimmermann ist Professor f�r Wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Uni Bonn, Pr�sident des Deutschen Instituts f�r Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn.

[Online-Ausgabe der SZ]


Reprinted with permission.

Back